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Diana Thielen

Wenn ich nicht tanzen kann...3


Wenn ich nicht tanzen kann...

„Queer is a wide-ranging set of notions and practices that collide: a state of conflicting, generative modes of existence. Dance, with its poetic porosity and generative failure to convey direct meaning, engages productively and provocatively with queer's slippery, shapeshifting sensibility. Bodies never do one thing or mean one thing. By embracing a messy, heterogeneous, even possibly contradictory queer, dance forges community, not in spite of, but through and with challenges and contradictions.” (Croft, Queer Dance, Meanings and Makings, 2017, S.10)

Wie schon im ersten Angebot (hetero)-sexistische Wirkmechanismen im CI-Tanz aufzubrechen, können wir auch jetzt auf die Suche gehen, inwiefern Tanz (in diesem Falle CI) uns ermöglicht, bestehende, soziale, verkörperte Zu- und Einschreibungen zu de-konstruieren. Croft geht in dem Zitat sogar noch weiter, indem sie schreibt, dass „ (…) Dance, with its poetic porosity and generative failure to convey direct meaning, engages productively and provocatively with queer's slippery, shapeshifting sensibility.” D.h. Croft geht hier darauf ein, dass Tanz als Kunst-und Performanceform an sich schon klare, eindeutige Aussagen mit direkten Bedeutungen verweigert. (Vielleicht kennen das einige von euch die schon in zeitgenössischen Tanzstücken waren: Irgendwie ist das zwar faszinierend was Körper alles können und wie diese auf der Bühne in Beziehung stehen. Aber anders als beim Theaterstück mit Sprache, suchen wir in einem Tanzstück oft vergeblich nach einer klaren Aussage)

Alle Zuschreibungen beim Tanz, wie wir Körper verstehen oder besser verstehen wollen, stehen in einem direkten sozialen Kontext und wir versuchen aus diesem Kontext heraus den Tanz einzuordnen und nachvollziehbar zu machen. Des Weiteren schreibt Croft, dass Tanz nicht trotz, sondern aufgrund der Widersprüche und Herausforderungen, die chaotische und konträre Bedeutung von Queer umarmen kann und die Bildung einer Gemeinschaft/einer Community ermöglicht.

Einer Bewegung steht immer mehr als nur eine Interpretation zur Verfügung. Wie Bewegungen von außen wahrgenommen und verstanden werden, ist ebenso abhängig von der Betrachter_innen -Perspektive, wie auch von der Person die diese Bewegung ausübt. Körper sind nicht stabil, sie verändern sich und verändern die ausführende Bewegung. Der Körper ist demnach mehr als nur ein ausführendes Instrument. Sondern eine soziale Kraft (social force) die mit Gefühlen und dem Unausgesprochenem regelrecht verflochten ist. (intertwined)

„Treating bodies like instruments rather than social forces forecloses queer possibility, which is often intertwined with the unspoken and the felt. “ (Croft, Queer Dance, Meanings and Makings, 2017, S.15)

Was ist das queere Ermächtigungsmoment in der Contact Improvisation?

Wir sind uns körperlich nah. Wir wissen nicht was der nächste Moment mit sich bringt. Ich muss versuchen den Körper meine_r Tanzpartner_in zu verstehen ohne diesen einordnen zu wollen. Körper lehnen sich aneinander, geben sich Gewicht ab, heben sich ohne die andere Person willentlich zu manipulieren. Ich kann Einladungen körperlich kommunizieren, Angebote um das Gewicht meiner_meines Tanzpartner_in aufzunehmen. Es kann akrobatisch, wild und draufgängerisch werden. Es kann ebenso ruhig und beinahe zärtlich werden. Sexualität und Begehren dürfen dabei sein, ohne eine treibende Kraft zu werden. Sie sind nicht wichtig. Wir schwitzen miteinander, umarmen uns, haben manchmal die Augen geschlossen oder stolpern über plötzlich auftauchende Körperbereiche. Wir rollen übereinander, nutzen den dynamischen Moment um einander in die Luft zu heben, riechen den Schweiß der anderen Person, berühren die andere Person am Becken, bieten uns gegenseitig Stabilität oder liegen ohne zu wissen wie wir dorthin gekommen sind, plötzlich verknotet mit anderen Körpern auf dem Boden.

Diese Nähe die CI anbietet, steht im Gegensatz zu einer Gesellschaft in der körperliche Nähe tabuisiert wird und ausschließlich in Zweier-Beziehungen oder im Kreis der Familie ausgelebt werden darf. Nähe wird gleichgesetzt mit Zuspruch, Wertschätzung und Anerkennung. In unserem Alltag beschränkt sich körperlicher Kontakt auf ritualisierte Praktiken wie z.B. das Händeschütteln einer Begrüßung. Indem CI eine körperliche Nähe anbietet ohne direkt diese zu objektivieren und sexualisieren will, wird uns ein Ermächtigungsmoment angeboten. Ein Widerstandsmoment. Ebenso wie der Raum anbietet, normierende Schönheitsnormen aufzubrechen (da denke ich an das vorher genannte Beispiel im 2. Teil dieser Serie, des Gewichts, des Schwer sein dürfens und das Angebot das eigene Körpergewicht schätzen zu lernen), bietet Contact Improvisation uns an, Nähe anders zu erleben. Vielleicht sogar neu zu verhandeln.

Durch Tanz/CI kann eine konkrete, physische Alternative erfahren werden, durch die wir unterschiedliche Möglichkeiten der Berührung, des einander Wahrnehmens und miteinander Daseins erleben dürfen.

„ As we explore the world and our bodies ‘potential through dancing, we can bump against and refuse the limitations embedded in the spaces in which we learn to move. “ (Croft, Queer Dance, Meanings and Makings, 2017, S.26)

Manchmal kann das Widerstandmoment schon in dem Augenblick entstehen, indem wir einen Raum eröffnen, indem all das möglich erscheint: Das Durchbrechen von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und hetero-sexistischen Dynamiken. Eine Einladung zur körperpositiven Wahrnehmung, eine Hinterfragung von Schönheitsidealen und normierten Körperfähigkeiten. Nähe und Körperlichkeit unabhängig von gesellschaftlichen Wertemaßstäben, Objektivierung und Sexualisierungen von Körpern.

Was ist mit Selbstfürsorge?

Einen Raum zu gestalten, der mir erlaubt meinen Körper (inkl. der erlebten, verkörperten Erfahrungen und Gedanken wahrzunehmen), lässt mich die unaufhörlich einwirkenden und strukturierenden Machtverhältnisse der Gesellschaft erkennen.

Diskurse und Praktiken formen Körper; Körper werden geformt.

Wenn wir nun die Wichtigkeit der Selbstfürsorge in den Vordergrund setzen, ist es unbedingt notwendig die rassistischen, klassistischen und sexistischen gesellschaftlichen Strukturen mitzudenken. Viel zu schnell passiert es ansonsten, dass Selbstfürsorgepraxen aus dem Kontext herausgerissen werden und nicht im Zusammenhang mit Privilegien gedacht werden. Die Kritik an der Aneignung und Kommerzialisierung von Selbstfürsorgepraxen weißer wohlhabender Personen ist also unbedingt notwendig.

Im Gegensatz zu einer Welt die einen produktiven Körper einfordert, der einhergehend mit dem Konzept der Gesundheit als Kapitalanlage verstanden wird, geht es bei Contact Improvisation nicht um Fitness und um Produktivität. Es wird eine Enthierarchisierung formuliert: Der Tanz kann zwischen erfahrenden und Neueinsteigenden Personen stattfinden, unterschiedliche Wissensebenen treffen aufeinander, es kann akrobatisch und spielerisch tobend getanzt werden genauso wie auch mit relativ wenig Körperkontakt (wie beispielsweise Handberührungen) ein etwas ruhiger Ton gefunden werden kann. Es gibt, wie schon besprochen, den Wunsch dass keine Rollenzuschreibungen zutreffen, und zu jeder Zeit findet ein erneuter Verhandlungsmoment, auf non-verbaler Ebene, statt.

Im Kontext von Contact Improvisation erlebe ich meinen Körper, meine Bedürfnisse, meine Wünsche, meine Ängste, meine Erlebnisse…alles was ich benennen und auch nicht benennen kann, im fortwährenden Kontakt zu anderen Personen. Anderen Körpern, Bedürfnisse, Wünsche, Ängste, Erlebnisse. Die Fürsorgepraxis die meines Erachtens angeboten wird, besteht in der Möglichkeit des Bewusstwerdens der Komplexität meines Körpers. Ein Angebot den Körper selbstbewusst, selbstbestimmt auf immer wieder neuen Weise kennenzulernen.

Mein Körper, meine Identität (teils gewählt, teils zugeschrieben), als lesbisch lebende, cis-geschlechtliche, able-isierte, weiße Frau steht in einer komplexen, chaotischen, verflochtenden Beziehungen zu anderen Personen; kulturellen Kontexten; sozialen Positionierungen. Contact Improvisation bietet mir an, all das wahrzunehmen und, gemeinsam mit meinen Mittänzer_innen, neue Bedeutungen, neue Beziehungen in einer (non-verbale) Aushandlungspraxis auszuprobieren.

Und nun komme ich endlich dazu, zu erklären, weshalb ich das Zitat von Emma Goldmann (1869–1940) als Titel für diese Serie genutzt habe: In dem Buch von Sarah Ahmed, „Feministisch leben! Manifest für Spassverderber*innen“ bietet uns Ahmed ein „feminist toolkit“ an. Unter anderem beschreibt sie die „vermittelnde Beziehung“ die Körper innehalten. Körper geben uns Feedback, Körper bleiben zurück. „(…) Körper tragen Spuren der Orte mit sich, an denen wir waren. Vielleicht sind wir diese Spuren.“

Ahmed verwendet das Zitat von Goldman „Wenn ich nicht tanzen kann, dann ist das nicht meine Revolution“, und bietet uns an darüber nachzudenken, was ein tanzender Körper eigentlich ist. Ein Körper der sich Platz nimmt, sich erlaubt da zu sein, sich Raum einzunehmen. Ahmed schreibt: „ Wir sind noch immer hier.“

Bibliography: Ahmed, Sara (2017): Feministisch leben! Manifest für Spassverderberinnen, Münster, Unrast Verlag

Croft, Claire (2017): Queer Dance, Makings and Meanings, New York, Oxford University Press

Czollek; Perko; Weinbach (2009):Lehrbuch Gender und Queer; Grundlagen, Methoden und Praxisfelder, Münster, Juventa Verlag

Horrigan, Kristin (2016), Gender and Improvisation (an interactive lecture)

Spatz, Ben (2015): What a body can do; Technique as knowledge, Practice as research, London, Routledge Press

Von Bosse; Klöppel, Köppert; Michalski; Treusch (Hrsg.) (2015): I is for Impasse, Affektive Queerverbindungen in Theorie_Aktivismus_Kunst, Berlin, b_books

Young, Marion (1980): Throwing like a girl- A phenomenology of Feminine Body Comportment, Motility and Spaciality, Human Studies

Queerulant_in (Juni 2018), Neonkristall : Wastanzist, Göttingen

Quinten, Susanne; Schroedter, Stephanie (2016): Tanzpraxis in der Forschung- Tanz als Forschungspraxis, Bielefeld, transcript Verlag

Online ressources: Ahmed, Sara (2014): https://feministkilljoys.com/2014/08/25/selfcare-as-warfare/

Hechler, Andreas (2007) Heteronormativity in Contact Improvisation http://www.contactfestival.de/Bilder/text/07_HeteronormativityinCI_hechler.pdf

Peşmen, Azadê (2016) Wishful thinking: Safe space, Ist das noch Utopie oder schon Illusion? https://missy-magazine.de/blog/2016/02/24/wishful-thinking-safe-spaces/

Radical Contact Network (multiple authorship) https://radicalcontact.org/safer-spaces-policy-radical-contact

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