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  • Diana Thielen

time is a monster


...or is it me?

...the society?

Who is the monster?

Ich möchte in diesem Post über Zeit schreiben. Darüber wie ich die Zeit in meinem Alltag wahrnehme. Über meine Kindheit schreibe ich auch ein bischen. Und darüber, dass ich wohl tatsächlich ein "Kind unserer Zeit" bin...

Ich werde Themen behandeln, die auf der einen Seite sehr persönlich sind, und auf der anderen Seite wohl zu gesellschaftlichen Debatten führen könnten. Dementsprechend werde ich eine sensationelle Theorie aufwerfen: Tataaaaa! ...Nämlich, dass diese persönlichen Themen Produkte einer bestimmten Zeit, eben auch einer bestimmten Sozialisation sind.

Ich bin als weiße, CIS- Frau in einer norddeutschen Stadt aufgewachsen. Seit der frühesten Kindheit habe ich versucht die Erwartungen die diese Gesellschaft an Frauen* stellt, zu erfüllen. Ich gehe also davon aus, dass ich so wie ich jetzt bin, was ich tue, wie ich lebe und wie ich dieses Leben versuche eigenständig zu meistern, ein Ergebnis meiner mittlerweile 33-jährigen Erfahrung auf diesem Planeten darstellt.

Kleine Geschichte:

Vor einiger Zeit bin ich aus der Haustür gegangen, ausnahmsweise ohne Rad, dafür aber mit Kaffeebecher und (mal wieder) knapp dran. Zumindest vom Gefühl her war ich zeitlich knapp.

Direkt neben meinem Haus saß auf einer Bank eine alte Frau die mich zu sich rief und um Hilfe bat. Sie fragte mich ob ich ihr helfen könnte einige Meter die Strasse runter zu gehen. Die Frau war offensichtlich sehr gehschwach, jeder Schritt war schwer für sie und wir benötigten für 20 Meter eine gefühlte Ewigkeit. Nach einigen Minuten haben wir erneut auf einer weiteren Bank Platz genommen um eine kleine Pause zu machen. Ich musste ständig auf die Uhr schauen, denn das Uni-Seminar fing bald an und ich sollte ein Referat halten. Aber ich konnte und wollte auch nicht die Frau alleine lassen. Neben der offensichtlichen körperlichen Hilfe die ich ihr anbieten konnte, haben wir auch die Zeit genutzt um uns ein bischen aus zu tauschen. Auch das schien für sie wichtig und stärkend zu sein: zwischenmenschlicher Kontakt. Hört sich so simpel an...

Schließlich habe ich eine andere junge Frau gefragt ob sie noch Zeit hätte, einige Meter die Frau zu begleiten. Die Reaktion war witzig, wahrscheinlich Berlin-typisch aber sehr sympathisch: " Eigentlich hab ich überhaupt keine Zeit, bin schon wieder zu spät. Aber egal...klar, mach ich"

Diese kleine Begegnung ist mittlerweile schon einige Wochen her. Und ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich durch meinen Berliner Alltag hetze. Von einem Termin zum anderen radel. Es gibt kaum diese kleinen, doch so wichtigen, Begegnungen wie die gerade beschriebene.

Mich begleitet dieses Gefühl des "nicht zur Ruhe kommens". Es wird zudem noch von der Angst bestärkt, nicht gut genug zu sein. Nicht mein Bestes zu geben.

Sehe ich mich als linke, kritische Person in unserer Gesellschaft, die die Strukturen des Neoliberalismus zumindest hinterfragt und zu begreifen versucht... muss ich mir doch eingestehen, dass ich die verkörperte Version dieser Wirtschaftsordnung bin!

Und ich frage mich warum dies so ist. Hat es (nur) etwas mit meiner individuellen Sozialisation zu tun?

In der kleinen Einleitung habe ich von Erwartungen gesprochen, die eine Gesellschaft an Mädchen* und Frauen* stellt. Es gibt viele Artikel, Studien, Blogposts etc., die sich mit diesem Thema beschäftigen. (z.B. haben wir in einem Seminar einen Text gelesen, der sich fragt, weshalb Jungen in der Schullaufbahn statistisch gesehen schlechtere Noten bekommen. Achtung Trigger Warnung: u.a. weil es nicht in das gesellschaftlich konstruierten Männlichkeitsbild passt, fleißig oder "strebsam" zu sein. Es wird, immer noch, von einer "natürlichen" Begabung in den naturwissenschaftlichen Fächern ausgegangen...von Mädchen* hingegen wird eine gewissen Strebsamkeit erwartet...)

Nun spreche ich nur von meinen persönlichen Erfahrungen, die mich während meiner Kindheit und Jugendzeit begleitet und anscheinend geprägt haben.

Mir ist seit der frühesten Kindheit von meiner Mutter eingetrichert worden, dass ich AUF JEDEN FALL einen Beruf erlernen müsse, bevor ich einen Mann heiraten dürfe

  • am besten eine Banklehre, die ist kurz (im Vergleich zu einem Studium, dann hab ich noch Zeit zum Kinder kriegen), gibt dir eine feste Jobaussicht und zahlt gut

  • denn wenn ich erstmal verheiratet bin und Kinder hab und von dem Mann als Haupternährer abhängig bin...ist die Kacke am dampfen. Hört sich alles zynisch an. Aber ich kann meine Mutter verstehen. Denn sie ist voll in die Reproduktions-Falle getappt...

Da ich also als Kind mitbekommen habe, wie meine Mutter nach der Scheidung meiner Eltern ohne berufliche Perspektive da stand und die finanzielle Existenzsicherung nicht gegeben war, habe ich für mich relativ früh "verstanden":

  • ich muss eine gute Leistung erbringen. Denn um später nicht in Abhängigkeit zu geraten, brauch ich einen guten Job.

In meinem Kontext bin ich, bzw. mein Körper, immer mit weiblich konnotierten Eigenschaften konfrontiert worden.

  • "schöne lange Beine"

  • "so schlank"

  • "so sportlich"

  • "hübsch"

  • aber auch "zickig", " naseweiß wie eine Prinzessin", "Prinzessin auf der Erbse" etc.

Also, ich fasse zusammen.

Ich muss gute (schulische) Leistung erbringen.

Ich muss beruflich unabhängig sein.

Zugleich war jedoch auch Familiengründung die Norm.

Also: beruflich unabhängig und familär eingebunden.

Zudem war/ist mein (vermeintlich weibliches*) Aussehen von Bedeutung; schlank und sportlich wurde auch mit diszipliniert und erfolgreich gleichgesetzt.

In meinem Leben habe ich dann andere Entscheidungen getroffen. Entscheidungen hört sich so freiwillig und eigenständig an. Eigentlich sind diese Entscheidungen durch sehr schmerzhafte und anstrengende Prozesse und Auseinandersetzungen entstanden. Und ich habe nicht wirklich das Gefühl "freie" Entscheidungen zu treffen. Oft fühlt es sich eher wie eine Reaktion auf etwas an.

So fing beispielsweise kurz vor meinem Schulabschluß alles an zu bröckeln. Die Fassade, die ich wirklich mit einiger Kraft versucht habe aufrecht zu erhalten, war morsch...Essstörungen gingen mit Depressionen einher. Ich konnte weder die schulischen Erwartungen erfüllen, noch konnte ich dem Schönheitsideal weiter entsprechen.

Die Entscheidung gesellschaftliche und/oder familiäre Erwartungen (die dann so eng an den eigenen geknüpft sind, dass es sehr schwer ist dort eine Unterscheidung zu treffen) nicht zu entsprechen und einen anderen Weg zu suchen, kam also nicht freiwillig. Sondern war und ist immer noch ein Resultat eines Prozesses, der mir grad lebensbegleitend erscheint.

Auch beruflich bin ich einen anderen Weg gegangen. Hätte ich als Tänzerin auf der Bühne stehend, beim Musical oder vergleichbares, zumindest weiterhin das Bild einer "talentierten" und schönen Frau* entsprechen können, so ist meine Art den Tanz zu leben und damit zu arbeiten nicht greifbar.

Dann lebe ich auch noch in einer lesbischen Beziehung und habe keine Kinder. ( ...aber Katzen...juhuuuu!)

Und trotzdem...dieses schleichende Gefühl noch mehr Leistungen erbringen zu müssen, doch noch beruflichen Erfolg zu haben (was auch immer das bedeutet) und nicht in die Reproduktions-Falle zu tappen ist Teil meines Antriebs. Meines Alltags.

Einen Versuch, mich nicht von einer neoliberalen Verhaltensweise komplett einnehmen zu lassen, ist die Übung "Arbeit" in meinem Alltag zu benennen. Für mich, aber auch für meine Mitmenschen. Diese sichtbar zu machen.

Um nicht den ganzen Sonntag an einem Blopost zu arbeiten, Flyer zu entwerfen, Klassen- und Workshopbeschreibungen zu schreiben, emails zu beantworten und Newsletter zu verschicken...Dann noch ein Skype-Meeting hinein zu schieben und dann immer noch von dem Gefühl nicht genug zu tun begleitet zu werden.

Ist das nicht irgendwie paradox?

Denn ich möchte z.B. reflektiertes und kritisches Yoga unterrichten welches den Menschen Kraft und Ruhe anbieten kann...Ohne Leistungsdruck.

Da aber nunmal kein Yogastudio den Lehrer_innen eine gesicherte Anstellung inklusive Kranken-Pflege und Rentenversicherung anbietet, es in Berlin gefühlte 100.000 Yogalehrer_innen gibt die alle ihre Klassen füllen wollen und niemand in dieser Lebensrealität für all die erbrachten Leistungen im "back-office" entlohnt wird...Radel ich weiterhin durch Berlin.

P.S. Wobei ich noch einmal betonen möchte, dass dieses" nicht zur Ruhe kommen" nur teilweise mit einer finanziellen Absicherung zu tun hat

Warum steht hinter Frau/ Mädchen ein *

Um sichtbar und erkennbar zu machen, dass Kategorien wie Frauen und Mädchen sozial konstruiert sind. Wirft jedoch auch andere Fragen auf: Wenn Frau* z.B. Trans und Inter mit einbeziehen möchte, warum dann explizit ein Sternchen? Zementiert das nicht doch eher die biologistische Erklärweise? siehe auch : *https://distels.wordpress.com/gendersternchen/

Neoliberalismus:

* Neoliberalismus: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20176/neoliberalismus zuletzt eingesehen 26.12.15/ 13:10 Uhr

Reproduktions-Falle:

Damit meine ich vor allem die gesellschaftliche Nicht-Beachtung oder Geringschätzung von Arbeit die im Haushalt errichtet wird. Im Gegensatz dazu steht die Produktionsarbeit. In heterosexuellen Parterschaften mit Kind(ern) wird oft von "Retraditionalisierung" gesprochen: Aufgrund von strukturellen Ungleichheiten, siehe Gender Pay Gap, wird sich für die konventionelle Rollenverteilung "entschieden": Frauen* verringern ihre Zeit in der Lohnarbeit, übernehmen mehr Sorgearbeit. Wohingegen die Männer ihre (Lohn-)Arbeitszeit erhöhen.

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