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  • Diana Thielen

Wenn ich nicht tanzen kann...


...dann ist das nicht meine Revolution

Im Rahmen der queeren Ringvorlesung der Universität Frankfurt konnte ich im Juni 2018 einen Vortrag halten, der die Frage nachging, ob Tanz als kritische Praxis verstanden werden kann:

Ermöglicht uns Tanz, und Contact Improvisation im besonderen, politisches Ermächtigungspotential? Oder sogar noch weiter gehend: Kann Tanz/ Contact Improvisation, bestehende, verkörperte, normierte und normierende gesellschaftliche Verhältnisse irritieren?

Chris Tedjasukmana schreibt in dem Essay „Feel Bad Movement- Affekt, Aktivismus und queere Gegenöffentlichkeiten“ (2017), dass queere Politik in besonderer Weise an intime, biografische Fragen von Körper, Identität, Geschlecht und Sexualität gebunden ist. Was meine Arbeit also begleitet, ist die Frage, ob uns Tanz/ Contact Improvisation als Form einen Untersuchungsgegenstand anbietet, an dem wir soziale, verkörperte Normen reflektieren, hinterfragen und neu erfinden können?

Ich habe den Vortrag gekürzt und in Abschnitte eingeteilt, die ich separat veröffentlichen möchte.

“Contact improvisations are spontaneous physical dialogues that range from stillness to highly energetic exchanges. Alertness is developed in order to work in an energetic state of physical disorientation, trusting in one's basic survival instincts. It is a free play with balance, self-correcting the wrong moves and reinforcing the right ones, bringing forth a physical/emotional truth about a shared moment of movement that leaves the participants informed, centered, and enlivened. “

(Steve Paxton, 1970er, von CQ Vol. 5: 1, Herbst 1979)

Heterosexismus and doing gender in CI

In diesem Teil der Serie "Wenn ich nicht tanzen kann, dann ist das nicht meine Revolution" gehe ich auf die starre, binäre Geschlechterkonzeption, die noch immer in vielen CI-Räumen (wie auch in anderen gesellschaftlichen Räumen) zu finden sind, ein.

Denn zuerst einmal, zumindest behaupte ich das jetzt hier; benötigt es gar nicht so viel um dominante Geschlechterverhältnisse zu irritieren: Als erstes Beispiel, welches sich noch im binären Geschlechterverhältnis verortet, aber so auch versucht bewusst Bezug auf reale Situationen in vielen CI-Räumen zu nehmen, fällt mir folgendes Beispiel ein:

Frau-isierte [1] Personen lernen Tänzer_innen zu heben, die als schwerer oder kräftiger gelten. D.h. typisierte Personen können (ohha, kaum zu glauben) von frau-isierten Personen geführt und gehoben werden, und das kann (dafür benötigt es ein wenig Erfahrungen und auch Techniken) ohne weiteres von einer „fragileren oder leichteren“ Person ausgeführt werden.

Und allein schon in diesem Beispiel ist zu erkennen, wie tief Normierungen in der Interaktion/Improvisation der von mir erlebten CI-Räumen zu finden sind: Denn allein die Zuschreibung von frau-isierten Personen als fragiler und leichter, ist sexistisch und normierend. Aus unserer Lebensrealität wissen wir, dass diese Rollenzuschreibung bei weitem nicht zutrifft. Oder?

Aber: Da sich Heteronormativität in Erwartungen, Forderungen und Einschränkungen manifestiert, spiegeln sich sog. traditionelle vergeschlechtlichte Rollenzuschreibungen in jeglicher sozialer Interaktion wieder.

Eine Beobachtung, (die Andreas Hechler auch hier beschreibt) ist, dass in CI-Räumen, wie beispielsweise Unterrichtssituationen oder Jams, der physische Kontakt zwischen typisierten Personen eher dazu neigt, technisch, grob, athletisch und emotional zurückhaltend zu sein.

Es werden heterosexistische Strukturen reproduziert, indem ein physischer Kontakt zwischen frau-isierten Personen akzeptierter und auch verbreiteter ist; schnelle/akrobatische/wilde Tänze eher mit einer typisierten Person oder zwischen typisierten Personen zu finden sind und viele CI-Duette zwischen frau-isierten Personen und Männern stattfinden.

Es findet also eine Anpassung oder Reproduktion an gesellschaftliche Anforderungen statt. Die Art und Weise wie Personen sich wahrnehmen, miteinander improvisieren und ja auch vordergründig körperlich in Kontakt treten, ist vom festgeschriebenen, genderorientierten Verhaltensrepertoire beeinflusst.

Diese beschriebenen Situationen untermauern meine Behauptung, dass unsere verkörperten Vorstellungen sowohl von Männlichkeit, Weiblichkeit, als auch Geschlechterneutralität oder auch Queerness unsere Bewegungen mitgestalten. Das kann sich in den Rollen kennzeichnen die wir (un-)bewusst einnehmen, aber eben auch, wie wir unseren eigenen Körper in Bezug auf andere Personen, den Raum und die Tanzfläche wahrnehmen. Hier möchte ich mich auf einen Artikel von Iris Marion Young beziehen, der schon relativ alt ist und dementsprechend auch kontextualisiert werden sollte (also in dem jeweiligen historischen, sozio-kulturellen Kontext der USA in der 1970/80-iger Jahren). In ihrem Artikel „Throwing like a Girl“ artikuliert Young geschlechtspezifische Muster, die den Einsatz und Wahrnehmung des Körpers von frau-isierten Personen beschreiben, und nutzt dazu das Werfen als Untersuchungsgegenstand. Also ein Bewegungsrepertoire, welches viele von uns zB aus den Sport-Schulunterricht kennen oder wir zumindest eine Vorstellung dazu haben, und an dem oft naturalisierte und essentialisierte Geschlechterdifferenzen manifestiert werden:

Dazu gehört, dass Kindern in der geschlechterspezifischen Sozialisation zur „Frau“ beispielsweise beigebracht wird weniger Platz einzunehmen. Kleine Kinder werden angewiesen eher vorsichtig zu sein und sich nicht zu beschmutzen oder sich zu verletzen. Es kann dazu führen, dass sich frau-isierte Personen weniger zutrauen und ein geringeres Vertrauen in ihre körperlichen Fähigkeiten entwickeln. Durch das früh erlebte objektivieren des Körpers, die beständig gespiegelte Außenwahrnehmung und Beurteilung, wird der Körper eher als in vielen diversen Körperteilen wahrgenommen, als ein ganzheitlicher, raum einnehmender Körper.

Und dies beeinflusst dann eben auch, wie wir unseren Körper in Bezug zum Raum wahrnehmen.

Das heißt, die Fragen die sich daraus ergeben (diese Fragen hat meine Kollegin Kristin Horrigan u.a. in ihrem Workshop "Gender in Contact Improvisation 2016 in Berlin gestellt und einen Artikel im CQ veröffentlicht) wären:

  • Wie können unsere Vorstellungen (bewusst oder unbewusst) von Gender unsere Bewegungsmöglichkeiten erweitern oder begrenzen?

  • Wann festigen diese Vorstellungen über Geschlecht (unser eigenes oder das einer anderen Person) unsere bewussten Absichten?

Ich bin immer wieder erstaunt, über diese recht einfachen Fragen. Es erscheint schon fast zu einfach. Denn wenn wir nochmal zurück zu den Definitionsversuchen von CI kommen, dann ist CI in der Grundidee nicht vergeschlechtlicht. Es gibt keine Rollenzuschreibungen. Es gibt keine Geschlechterrollen, wie es beispielsweise beim Standardtanz bekannt ist. Keine Person die führt. Keine die folgt. Die Form erfordert „nur“ tanzende Menschen. Und versucht sich auf materialisierte Körperlichkeit und physikalischen Prinzipien zu berufen.

Schwerkraft, Schwung, Gewicht. Und doch ist Contact Improvisation auch eine Tanzform, die wir mit unserem ganzen Kontext, Sozialisation und gesellschaftliche Positionierung, ausüben ... und dazu gehört unweigerlich unser Vergeschlechtlichung. „Doing gender at its best“

***

Durch die Situationen die ich eben beschrieben habe, versuche ich also für uns erkennbar zu machen, dass, obwohl eine Bewegungsart-/form an sich keine vergeschlechtlichte Aufteilung verlangt, unsere Körper durch Diskurse und Praktiken (die wir sowohl sozial als auch historisch verorten und untersuchen können) geformt werden. Diskurse und Praktiken formen Körper; Körper werden geformt.

Mit diesem Ansatz können Tanz-und Bewegungsformen, ebenso wie Körper, an sich keine Neutralität beanspruchen, da diese in historischen, sozialen und politischen Kontext eingebettet sind.

In diesem Kontext möchte ich auf den Begriff embodiments eingehen, bzw. auf den Prozess des embodiments: „In this context, „embodiment “absolutely does not refer to a distinction between body and mind.(…) My assumption here is that mind and body are holistically intertwined- or rather, following current trends in cognitive studies, that mind is an emergent property of the body, just as the body in the material basis for the mind.” (Spatz, Ben: What a body can do, S.11)

Embodiment bezieht sich nicht auf eine Unterscheidung zwischen Geist und Körper (Body and Mind). Die Annahme ist, dass Geist und Körper ganzheitlich miteinander verflochten sind. So stellen auch Gedanken und Sprache verkörperte/embodied Prozesse da und auch die Kategorisierung von Sex und Gender (biologisches Geschlecht und soziales Geschlecht), sowie Body and Mind (Körper und Geist), (wenn auch in vielen Analysemomenten ein wichtiges Werkzeug) werden hier aufgehoben und verkompliziert.

Stay tuned! Das war nur ein Anfang: Der kommende Abschnitt wird sich mit dem politischen Potential von Körperpraktiken, in diesem Falle CI, auseinandersetzen und auf CI im FLT*I* (Frauen, Lesben, Trans* und Inter*) Kontext eingehen! Um dann im 3. Teil der Serie auf das queere Ermächtigungsmoment einzugehen.

[1]

Durch das Ersetzen des Wortes "Frau" durch frauisierte Person möchte der diskursive, prozessuale Herstellungscharakter dieser sozialen Positionierung deutlich gemacht werden.

Bibliography: Ahmed, Sara (2017): Feministisch leben! Manifest für Spassverderberinnen, Münster, Unrast Verlag

Croft, Claire (2017): Queer Dance, Makings and Meanings, New York, Oxford University Press

Czollek; Perko; Weinbach (2009):Lehrbuch Gender und Queer; Grundlagen, Methoden und Praxisfelder, Münster, Juventa Verlag

Horrigan, Kristin (2016), Gender and Improvisation (an interactive lecture)

Spatz, Ben (2015): What a body can do; Technique as knowledge, Practice as research, London, Routledge Press

Von Bosse; Klöppel, Köppert; Michalski; Treusch (Hrsg.) (2015): I is for Impasse, Affektive Queerverbindungen in Theorie_Aktivismus_Kunst, Berlin, b_books

Young, Marion (1980): Throwing like a girl- A phenomenology of Feminine Body Comportment, Motility and Spaciality, Human Studies

Queerulant_in (Juni 2018), Neonkristall : Wastanzist, Göttingen

Quinten, Susanne; Schroedter, Stephanie (2016): Tanzpraxis in der Forschung- Tanz als Forschungspraxis, Bielefeld, transcript Verlag

Online ressources: Ahmed, Sara (2014): https://feministkilljoys.com/2014/08/25/selfcare-as-warfare/

Hechler, Andreas (2007) Heteronormativity in Contact Improvisation http://www.contactfestival.de/Bilder/text/07_HeteronormativityinCI_hechler.pdf

Peşmen, Azadê (2016) Wishful thinking: Safe space, Ist das noch Utopie oder schon Illusion? https://missy-magazine.de/blog/2016/02/24/wishful-thinking-safe-spaces/

Radical Contact Network (multiple authorship) https://radicalcontact.org/safer-spaces-policy-radical-contact

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