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  • Diana Thielen

Schmerz kultur



Der weibliche Schmerz in der Theater- und Performanceszene


Hört man von dem Schmerz eines anderen Menschen, so mag das, was in dessen Körper geschieht, ähnlich fremd und fern erscheinen wie ein Ereignis tief in der Erde, wie die Beben in einer unsichtbaren Geographie, die, so ungeheuerlich sie auch sein mögen, noch keine erkennbaren Spuren auf der Erdoberfläche gezogen haben” (Elaine Scarry “The body in pain”).


Ein Text von Esther Vorwerk

In diesem Text möchte ich über Schmerz sprechen. Ein Unterfangen, das sich als äußerst schwer und mühsam und zuweilen auch einsam erweist. Es gibt in unserer Gesellschaft keine Sprache dafür. Ich werde aus der Perspektive einer Cis Frau schreiben, da dieser Umstand für meinen Schmerz relevant ist. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, dass das Sprechen über frauenspezifische Krankheiten und Schmerzen weitere Schwierigkeiten und Barrieren mit sich bringt. Der Schmerz von Frauen wird noch immer mystifiziert und Krankheiten von Frauen, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich erforscht.


Schmerz im Allgemeinen ist etwas, über das wir in unserer Gesellschaft nicht sprechen, etwas wofür wir keine Sprache kennen. Körper sind darauf angelegt zu funktionieren. Sie sollten belastbar sein. Dieser Umstand trifft im kulturellen, künstlerischen Umfeld verstärkt zu. Schwäche zu zeigen wird als Schwäche gesehen. Sensibel zu sein, Grenzen klar zu artikulieren, den eigenen Körper wahrzunehmen und zu schützen, ist noch immer nicht angesagt. Schmerz wird entweder nicht ernst genommen, heruntergespielt oder ästhetisiert. Insbesondere der weibliche Schmerz. Individuelle, schmerzvolle Erfahrungen sollen zwar verwertet, erzählt und öffentlich gemacht werden, der Inhalt des Schmerzes, das was er real bedeutet, wird jedoch nicht aufgefangen und soll im besten Fall gar nicht erst auftreten. Die Strukturen der darstellenden Künste funktionieren außerdem so, dass es mit chronischen Schmerzen fast unmöglich ist, in ihnen zu existieren.


Ich habe mit 19 Jahren angefangen Schauspiel zu studieren, mit 20 habe ich einen Blinddarmdurchbruch mit Bauchfellentzündung nur knapp überlebt. Die Jahre darauf hatte ich fünf schwere OPs, mehrere Eileiterentzündungen, einen Darmverschluss und einen Verdacht auf Krebs, der sich zum Glück nicht bestätigt hat. Ich hatte zahlreiche Infektionen, musste immer wieder schwere Medikamente einnehmen. Ich leide seit über zehn Jahren unter chronische Schmerzen. Ärzt*innen sind überfordert mit mir. Ich kann mir immer noch nicht erklären, wie ich trotz dieser Schmerzen, das Schauspielstudium in der gleichen Zeit absolviert habe, wie meine Kommiliton*innen. Nach Abschluss des Studiums beschloss ich, in der freien Szene tätig zu sein. In diesem Rahmen arbeitete ich mit verschiedenen Künstler*innen aus unterschiedlichen Sparten zusammen. Ich habe Konzepte und Anträge geschrieben, mit Tänzer*innen, mit bildenden Künstler*innen, Autor*innen, mit Mitteln des Films, Performance, Theater und im öffentlichen Raum gearbeitet. Und immer habe ich versucht meinen Schmerz nicht zu zeigen. Ich habe weiter geprobt, bis ich nicht mehr konnte und mich jemand ins Krankenhaus bringen musste. Immer mit der Angst, den Anschluss zu verlieren. Immer mit dem Druck, funktionieren zu müssen. Immer mit der Sorge, stigmatisiert zu werden.


Ich habe versucht meinen Schmerz zu kommunizieren, habe erlebt, wie er nicht ernst genommen, nicht geglaubt oder heruntergespielt wurde. Des Öfteren wurde mir vorgeworfen, ich sei nicht belastbar genug, hätte nur Angst und würde mich davor scheuen, mich wirklich in die Arbeit zu geben. Heute weiß ich, dass es genau anders herum war. Ich habe mich zu belastbar gegeben und zu viel ausgehalten.


Für die Bühne wurde meine Geschichte, mein Schmerz dankend angenommen und genutzt. Ich selbst habe ihn zur Verfügung gestellt, ausgeschlachtet und zur Verwertung freigegeben. Wenn ich ihn aber real geäußert, meine Bedürfnisse formuliert und eingefordert habe, war es oft für mein Gegenüber eher nervig, ich wurde belächelt oder damit allein gelassen.


Mir wurde mehr als drei Mal von heterosexuellen, weißen Männern gesagt, ich hätte ein Problem mit meiner “Weiblichkeit”, was auch immer das heißen soll. Es wurde mir suggeriert, dass ich auf eine Art selbst Schuld an meinen Krankheiten wäre. Dass ich eine von diesen depressiv leidenden Frauen* sei, die gegen sich selbst arbeiten würden. Gleichzeitig wurde mein Schmerz ästhetisiert. Ich wurde zu der schönen, leidenden zerbrechlichen, machtlosen Frau gemacht. In Theater Strukturen wird noch immer überwiegend aus der Perspektive von weißen, heterosexuellen Männern erzählt, sehr oft über den Schmerz von Frauen*. Dieser wird von den Männern ästhetisiert und fetischisiert. Sie projizieren ihre Vorstellungen, Vorlieben und Bilder auf ihn.


Es muss etwas passieren in den darstellenden Künsten. Wir können so nicht weiter arbeiten. Die Strukturen machen krank. Sie machen es Menschen mit nicht-normativen Biografien schwer bis unmöglich, eine Stimme zu haben. Sie zu erheben. In diesen Strukturen werden immer wieder die gleichen Geschichten reproduziert. Sie sind so aufgebaut, dass viele Menschen nicht in ihnen arbeiten können, weil sie nicht die richtigen Parameter erfüllen oder nicht über die Kapazitäten verfügen, in diesen Strukturen bestehen zu können. Oder einfach nicht mehr bereit sind gegen sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu arbeiten. Solche Strukturen verhindern nicht nur die Partizipation ganz bestimmter, gesellschaftlicher Gruppen, sondern erhalten zusätzlich ein Frauenbild aufrecht, das veraltet und misogyn ist. Dieses Frauenbild wird auf der Bühne produziert, ist aber gleichsam auch gesellschaftlich produktiv. Durch die Darstellung von Frauen als schwach und zerbrechlich erhält sich ein Frauenbild am Leben, das gewalttätig, verzerrt und sexistisch ist.


Neben diesen extrem schmerzhaften Erlebnissen, habe ich immer auch unglaublich stärkende, solidarische und umsorgende Erfahrungen gemacht und einen unfassbar tollen Freundeskreis, der für mich da ist, egal was passiert. Ich habe mich dazu entschieden meine Geschichte so offen und konfrontativ aufzuschreiben, weil ich seit Jahren auf der Suche nach Verbündeten bin, nach Vorbildern, nach Räumen, in denen ich mich verstanden fühle. Ich werde diese jetzt selbst schaffen und anfangen darüber zu sprechen. Laut und hörbar.


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